Pagan Metal == NAZIMUSIK!! oder was?

Gestern wurde ich durch eine Freundin auf einen Artikel des Berliner Institut für Faschismusforschung aufmerksam gemacht, in dem das bevorstehende Paganfest aufs Schärfste kritisiert und einzelne Bands angegriffen werden. So heißt es dort wörtlich:

Fünf Bands aus Finnland (3), der Schweiz (!) und von den Färöer Inseln präsentiert der Veranstalter des nordischen Vernichtungsideologie-Spektakels, „Folter Records“, auf der „Paganfest Tour 2008“ im SO 36. „Das Esso“, wie der Club im Szenejargon heißt, verlinkt sich auf seiner Webseite mit den Bands. Auch wenn nicht alle Links funktionieren — der zu „Moonsorrow“ geht: hier kann man die blutrünstigen „Lyrics“ der Rächer Wotans nachlesen, sich zu „Runen-Ritzern“ mit Hakenkreuzen, Keltenkreuzen oder Hagalsrunen weiterklicken, und von hier kann man auch die Webseiten der anderen Bands erreichen. Es sind allesamt faschistoide Gruppen, Ableger der rechtsextremen Kulturszene, die sich bisher schon im Black Metal und Gothic zeigte.

Das konnte ich so nicht auf sich beruhen lassen, und somit schrieb ich einen offenen Brief an dieses sogenannte Institut.

Guten Tag, liebes Institut!
Bevor ich mit dem eigentlichen Brief beginne, möchte ich erst einmal klarstellen dass ich das bin was gewöhnliche Leute einen Linksradikalen, wenn nicht sogar -extremen nennen. Diese Bezeichnung ist allerdings insofern falsch, als dass ich zwar teilweise auf den Durchschnittsbürger sehr extrem wirkende Meinungen aus dem linken Spektrum vertrete, mich aber nicht einer Ideologie unterordne und nicht jede mir durch vermeintlich Gleichgesinnte aufgedrückte Meinung ohne kritisches Hinterfragen übernehme, wie es anscheinend einige Leute, die meinen, sich durch ein wenig Internetrecherche in der Metalszene auszukennen, tun.
Ebensowenig bin ich das was im braunen Sumpf ein Deutscher ist, nämlich Kind deutscher Eltern. Ich bin zwar in Deutschland aufgewachsen, mein Vater jedoch stammt aus Venezuela.
Ich hoffe, mit dieser Erklärung wenigstens den Verdacht ausgeräumt zu haben, ich sei ein getarnter Nazi, denn Faschismusverdächtigen schenkt man ja bekanntlich kein Gehör.
Nun zu meinem eigentlichen Anliegen, einem offenen Brief zum Artikel ‚Rechtes Neuheiden-Festival mit Nazi-Runen im „SO 36″‚.
Gestern war ich bei einer Freundin zu Besuch, und wir unterhielten uns spontan über nationalsozialistische Auswüchse in Deutschland, während wir uns das Lineup des diesjährigen Summer Breeze-Festivals ansahen, wo auch dieses Jahr wieder viele Bands aus dem Bereich des Pagan Metal vertreten sind, unter anderem Ensiferum, Primordial und Tyr. Bei letzteren angelangt, wurde ich auf einmal von der Behauptung überrascht, Tyr sei definitiv eine Naziband. Nun gut, ich runzelte die Stirn und meinte, das hielte ich für ein Gerücht, nicht zuletzt weil sie bei einem Festival ohne politischen Hintergrund auftreten. Ich sagte, ich hätte mich zwar nicht genauer mit der Band beschäftigt, aber es würde mich doch schwer wundern, woher sie das denn habe. Daraufhin zeigte sie mir die entsprechende Seite des BIfFF, auf der unter anderem die mir bekannte Band Moonsorrow angegriffen wird. Natürlich klärte ich meine liebe Freundin erst einmal darüber auf, dass sie nicht alles glauben müsse, das sie lese, da ich den Artikel schon beim Überfliegen für ein nicht ganz ernst zu nehmendes Geschreibsel, vermengt mit antifaschistischer Ideologie und gewürzt mit jeweils einer ordentlichen Prise schlechter Recherche und Überheblichkeit befand. Ich erklärte ihr, dass nicht alles was sich mit Symbolen der germanischen Mythologie schmückt, auch gleich ein Nazi sein müsse.
Als ich mich heute früh näher mit dem Artikel beschäftigte, entfaltete sich vor meinen Augen ein großes Spektrum der Unwissenheit, verpackt in eine Hetzrede gegen nicht ganz harmlose, aber genau so wenig nationalsozialistische Bands.
Ich werde mich in meinem Statement größtenteils auf Moonsorrow beziehen, da ich die Band, ihre Musik und ihre Texte recht gut kenne, und weil diese am heftigsten angegriffen wurde.
Wie der Schreiber des Artikels hoffentlich weiß, stammen Moonsorrow aus Finnland, einem Land, in dem die nordische Mythologie zum Kulturerbe zählt, und in dem Wörter wie „Nationalstolz“ zu sagen nicht der Aussage „Der Holocaust war eine gute Sache“ gleichkommt. Entsprechend wird auch nicht jede Band, die sich mit Keltenkreuzen und nordischen Runen schmückt oder sich gar zum Heidentum bekennt unter der Annahme diffamiert, es handele sich um eine Vereinigung von Neonazis, die ihre Waffen gegen Instrumente ausgetauscht hätten.
Die Texte von Moonsorrow muten faschistisch an, das bestreite ich nicht, allerdings lassen sie sich nicht, wie im Artikel geschehen, auf heutige politische Verhältnisse übertragen. Was vom Schreiber (ich nehme der Bequemlichkeit halber an es sei ein Schreiber, da der Name des Verfassers / der Verfasserin nicht erwähnt wird), der anscheinend einige seiner Gedankensprünge nicht dokumentiert hat um einfach sofort zu seinem Fazit zu kommen, als Hass auf „Migrantinnen und Migranten“ bezeichnet wird, ist nichts weiter als eine schlechte Schilderung von historischen Ereignissen aus Sicht der Germanen, die von christlichen „Missionaren“ entweder bekehrt oder getötet wurden. Der entscheidende Unterschied ist, dass es hier um ein unrechtmäßiges, gewaltsames Eindringen und Assimilieren geht, nicht darum dass sich politisch Verfolgte oder mittellose Menschen in einem Land niederlassen, dem es wirtschaftlich besser geht und in dem sie nicht aufgrund ihrer Religion, Abstammung oder politischen Überzeugung verfolgt werden, um dort ein neues Leben anzufangen.
Zudem trifft man vor allem in der Filmkunst faschistoide Elemente an, die daraus resultieren dass man eine Geschichte aus Sicht eines Volkes dokumentiert, das diese Ansichten vertrat. Im Film „300“ wird implizit das Ermorden von „schwachen“ und behinderten Kindern gutgeheißen (Zitat: „Gleich nach seiner Geburt wurde der Knabe wie alle Spartaner genau begutachtet. Wäre er klein oder kümmerlich gewesen, kränklich oder missgestaltet, hätte man ihn ausgesondert.“), und Zeilen wie „Taught never to retreat, never to surrender. Taught that death on the battlefield in service to Sparta was the greatest glory he could achieve in his life.“ unterscheiden sich nicht sonderlich von den Texten der Band Moonsorrow. Jedoch wurde der Film meines Wissens nicht von Antifaschisten angegriffen, aus dem einfachen Grund dass es sich im Film um Spartaner, nicht um Germanen handelt. Das zeigt wieder einmal, dass Antifaschisten ihren Namen nicht verdient haben, weil sie sich nur noch für das Stigma Deutschlands, den Nationalsozialismus, und nicht für Faschismus in jeder Form interessieren.
Wie dem aufmerksamen Leser nicht verborgen geblieben ist, habe ich im letzten Absatz zugegeben, dass sich einige Zitate des von mir als faschistoid bezeichneten Films „300“ mit den Texten von Moonsorrow decken. Nun mag man meinen, ich hätte mir und meiner Argumentation damit selbst ein Bein gestellt, jedoch geschah dies bewusst und hatte einen Grund. Ich möchte Moonsorrow nicht vor jeder Kritik schützen. Wie ich schon weiter oben schrieb, haben die Texte der Band faschistische Züge, weswegen man sie, wenn man deren Texte denn ernst nimmt (was ich nicht tue), durchaus kritisieren kann. Doch nicht alles was man mit Faschismus in Verbindung bringen kann, muss gleich mit Nationalsozialismus assoziiert werden. Ich möchte die Band lediglich vor dem Vorwurf verteidigen, eine „Naziband“ zu sein.
Zu der vermeintlichen Nazisymbolik (Sig-Rune, Swastika) muss ich wohl lediglich Fakten nennen. Die Swastika ist im germanischen Kulturkreis ein mit dem Sonnenrad verwandtes magisches Symbol, das nicht nur von Nazideutschland missbraucht wurde, sondern von 1918 bis 1944 auch auf der Flagge der finnischen Luftwaffe zu sehen war und noch heute in Indien ein Symbol für Glück ist und in Darstellungen von Göttern verwendet wird. Die Sig-Rune ist auch nichts weiter als eine der gemeingermanischen Runen, die nicht zwangsläufig mit der Schutzstaffel in Verbindung gebracht werden muss. In diesem Zusammenhang frage ich mich, ob es immer noch so dramatisch wäre, wenn Moonsorrow sich nur noch Moonorrow nennen würden, sodass sie ihr Logo zwar in germanischen Runen schreiben, aber auf die Sig-Rune verzichten könnten.
Ich selbst vermeide es, mich mit germanischer Symbolik zu schmücken, zuerst einmal weil ich persönlich nichts mit Neuheidentum anfangen kann und nicht zuletzt weil es immer wieder schlecht informierte Fanatiker gibt, die mich deswegen auf der Straße belästigen würden. Wer sich jedoch zum Neuheidentum bekennt, der lässt sich zu recht nicht davon abschrecken, dass die damit zusammenhängende Symbolik im dritten Reich missbraucht wurde und nimmt, leider etwas naiv, an, dass man wohl so besonnen sein wird und sich erst mit seinen Meinungen und Überzeugungen auseinandersetzt, bevor man ihn als Nazi abstempelt.
Leider ist es auch nicht immer einfach, zwischen naiven Neuheiden und tatsächlichen Nazis zu unterscheiden, denn die Übergänge sind wie immer fließend. Auch auf dem Paganfest wird sich braunes „Gesocks“ einfinden und Werbung für sich machen. Ich bin mir durchaus der Gefahr bewusst, die von einem Bekenntnis zum Neuheidentum ausgeht, denn bei manchen ist der Weg von „Odin statt Jesus“ zu „Heil Hitler“ leider nicht weit. Wer jedoch pauschalisiert und derart inflationär mit schwerwiegenden Anschuldigungen umgeht, der macht sich der Unwissenheit und Kurzsichtigkeit, wenn nicht sogar des Fanatismus schuldig.

Mit kritischen Grüßen,
Jonas Lang

Nachtrag: Ein wenig aus der Hitze der Argumentation rausgekommen, glaube ich nun, die auf den Brief verwandte Zeit verschwendet zu haben. Das selbsternannte „Institut“ für Faschismus-„Forschung“ knüppelt mit seiner erbärmlichen Polemik sowieso jeden Ansatz von Zweifel und Kritik nieder.

~ von eckenundkanten - April 26, 2008.

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